Grundlagentext Empowerment (Vertiefung)
Gliederung:
- Empowerment: Zugänge zu einem neuen Begriff
- Die Philosophie der Menschenstärken: Grundprinzipien und Wertebasis
- Ressourcen in der pädagogischen Praxis
- Handwerkszeuge: Methoden des Empowerments
- „…wenn gar nichts mehr geht“: Ressourcenorientierte Beratung mit gering motivierten Klienten
- Evaluation: Produkte erfolgreicher Empowerment-Prozesse
- Empowerment und Organisationsentwicklung: der Empowerment-Zirkel
- Empowerment und neue Professionalität in der psychosozialen Arbeit
1. Empowerment: Zugänge zu einem neuen Begriff
In der Literatur finden sich viele Versuche, das was Empowerment (wörtlich übersetzt: Selbstbemächtigung; Selbstbefähigung; Stärkung von Eigenmacht und Autonomie) ausmacht, auf den Begriff zu bringen. Gemeinsam ist allen Definitionsangeboten eines: Der Begriff Empowerment steht heute für alle solchen Arbeitsansätze in der psychosozialen Praxis, die die Menschen zur Entdeckung der eigenen Stärken ermutigen und ihnen Hilfestellungen bei der Aneignung von Selbstbestimmung und Lebensautonomie vermitteln wollen. Ziel der Empowerment-Praxis ist es, die vorhandenen (wenn auch vielfach verschütteten) Fähigkeiten der Menschen zu kräftigen und Ressourcen freizusetzen, mit deren Hilfe sie die eigenen Lebenswege und Lebensräume selbstbestimmt gestalten können. Empowerment - auf eine kurze Formel gebracht - ist das Anstiften zur (Wieder-)Aneignung von Selbstbestimmung über die Umstände des eigenen Lebens.
In der Literatur lassen sich zwei Lesarten von Empowerment unterscheiden:
(1) Empowerment als Selbstbemächtigung problembetroffener Personen
Definitionen in diesem ersten Wortsinn betonen die aktive Aneignung von Macht, Kraft, Gestaltungsvermögen durch die von Machtlosigkeit und Ohnmacht Betroffenen selbst. Empowerment wird hier als ein Prozess der Selbst-Bemächtigung und der Selbst-Aneignung von Lebenskräften beschrieben: Menschen verlassen das Gehäuse der Abhängigkeit und der Bevormundung. Sie befreien sich in eigener Kraft aus einer Position der Ohnmacht und werden zu aktiv handelnden Akteuren, die ein Mehr an Selbstbestimmung, Autonomie und Lebensregie erstreiten. Empowerment bezeichnet hier also einen selbstinitiierten und eigengesteuerten Prozess der (Wieder-)Herstellung von Selbstbestimmung in der Gestaltung des eigenen Lebens. Diese Definition betont somit den Aspekt der Selbsthilfe und der aktiven Selbstorganisation der Betroffenen. Sie findet sich vor allem im Kontext von Projekten und Initiativen, die in der Tradition der Bürgerrechtsbewegung und der Selbsthilfe-Bewegung stehen.
(2) Empowerment als professionelle Unterstützung von Autonomie und Selbstgestaltung
Definitionen, die aus der Tradition der professionellen psychosozialen Arbeit entstammen, betonen hingegen die Aspekte der Unterstützung und der Förderung von Selbstbestimmung durch berufliche Helfer. Der Blick richtet sich hier also auf die Seite der Mitarbeiter psychosozialer Dienste, die Prozesse der (Wieder-)Aneignung von Selbstgestaltungskräften anregen, fördern und unterstützen und Ressourcen für Empowerment-Prozesse bereitstellen. Empowerment ist in diesem Wortsinn programmatisches Kürzel für eine psychosoziale Praxis, deren Handlungsziel es ist, Menschen das Rüstzeug für ein eigenverantwortliches Lebensmanagement zur Verfügung zu stellen und ihnen Möglichkeitsräume aufzuschließen, in denen sie sich die Erfahrung der eigenen Stärke aneignen und Muster solidarischer Vernetzung erproben können.
Empowerment - eine Arbeitsdefinition
Der Begriff „Empowerment“ bedeutet Selbstbefähigung und Selbstbemächtigung, Stärkung von Eigenmacht, Autonomie und Selbstverfügung. Empowerment beschreibt Mut machende Prozesse der Selbstbemächtigung, in denen Menschen in Situationen des Mangels, der Benachteiligung oder der gesellschaftlichen Ausgrenzung beginnen, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen, in denen sie sich ihrer Fähigkeiten bewusst werden, eigene Kräfte entwickeln und ihre individuellen und kollektiven Ressourcen zu einer selbstbestimmten Lebensführung nutzen lernen. Empowerment - auf eine kurze Formel gebracht - zielt auf die (Wieder-)Herstellung von Selbstbestimmung über die Umstände des eigenen Alltags. In der Literatur finden sich weitere Umschreibungen von Empowerment:
- Die Fähigkeit, aus der bunten Vielzahl der angebotenen Lebensoptionen auswählen und eigenverantwortete Entscheidungen für die eigene Person treffen zu können;
- Die Fähigkeit, für die eigenen Bedürfnisse, Interessen, Wünsche und Phantasien aktiv einzutreten und bevormundenden Übergriffen anderer in das eigene Leben entgegentreten zu können;
- Die Erfahrung, als Subjekt die Umstände des eigenen Lebens (Selbst-, Sozial- und Umweltbeziehungen) produktiv gestalten und erwünschte Veränderungen ‚in eigener Regie‘ bewirken zu können (die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und Gestaltungsvermögen);
- Die Bereitschaft und die Fähigkeit, sich belastenden Lebensproblemen aktiv zu stellen (und nicht zu Mustern der Verleugnung und der Nicht-Wahrnehmung Zuflucht zu suchen), wünschenswerte Veränderungen zu buchstabieren und hilfreiche Ressourcen der Veränderung zu mobilisieren;
- Das Vermögen, ein kritisches Denken zu lernen und das lähmende Gewicht von Alltagsroutinen, Handlungsgewohnheiten und Konditionierungen abzulegen;
- Die Fähigkeit, sich aktiv Zugang zu Informationen, Dienstleistungen und Unterstützungsressourcen zu eröffnen und diese ‚zum eigenen Nutzen‘ einzusetzen;
- Die Einsamkeit überwinden und die Bereitschaft, sich in solidarische Gemeinschaften einzubinden;
- Das Einfordern der eigenen Rechte auf Teilhabe und Mitwirkung und die stete Bereitschaft, offensiv gegen stille Muster der Entrechtung einzutreten.
Dort, wo Menschen diese Erfahrungen von Selbstwert und aktiver Gestaltungskraft, von Ermutigung und sozialer Anerkennung haben sammeln können, vollziehen sich Mut machende Prozesse einer „Stärkung von Eigenmacht“. Der Rückgriff auf das positive Kapital dieser Erfahrungen macht es Menschen möglich, sich ihrer Umwelt weniger ausgesetzt zu fühlen und Mut für ein offensives Sich-Einmischen zu sammeln. Solche positiven Lebenserfahrungen aber, in denen Menschen Sicherheit und Selbstwert finden, entfalten eine bemächtigende Kraft.
2. Die Philosophie der Menschenstärken: Grundprinzipien und Wertebasis
Ausgangspunkt des Empowerment-Konzeptes ist eine deutliche Kritik an den Blindflecken des tradierten Klientenbildes, das das berufsbezogene Alltagswissen in den Köpfen der sozialen Professionals prägt. Dieses Klientenbild ist bis heute in weiten Passagen von einem Defizit-Blick auf den Menschen geprägt, d.h. die Identitätsentwürfe der Klienten Sozialer Arbeit, ihre biographischen Erfahrungshorizonte und Bindungsnetzwerke werden nur allzu oft allein in Kategorien von Mangel und Unfertigkeit, Beschädigung und Schwäche wahrgenommen. Im Lichte dieser grundlegenden Defizit-Orientierung aber gewinnt die beruflich helfende Unterstützung in vielen Fällen den Charakter einer „Fürsorgepädagogik“, die die Betroffenen in beratende und therapeutische Vollversorgungspakete einpackt, sie zugleich aber auf Dauer von Fremdhilfe abhängig macht und verbleibende Ressourcen von Eigenmächtigkeit entwertet.
Das Empowerment-Konzept nun bricht mit diesem Blick auf die Schwächen und Abhängigkeiten. Menschen, die psychosoziale Unterstützung in Anspruch nehmen, werden hier also nicht mehr als hilfebedürftige Mängelwesen angesehen, die der pädagogischen Fürsorglichkeit bedürfen. Ganz im Gegenteil: Die Adressaten sozialer Dienstleistungen werden - auch in Lebensetappen der Belastung - in der Rolle von kompetenten Akteuren wahrgenommen, die über das Vermögen verfügen, ihre Lebenssettings in eigener Regie zu gestalten und Lebenssouveränität zu gewinnen. Dieses Vertrauen in die Stärken der Menschen, in produktiver Weise die Belastungen und Zumutungen der alltäglichen Lebenswirklichkeit zu verarbeiten, ist Zentrum und Leitmotiv der „Philosophie der Menschenstärken“. Dieses Menschenbild, das der Empowerment-Praxis leitend ist, umfasst folgende Bausteine:
- Die Abkehr vom Defizit-Blick auf Menschen mit Lebensschwierigkeiten und zugleich auch der Verzicht auf pädagogische Zuschreibungen von Hilfebedürftigkeit;
- Der Blick auf die Menschenstärken: das Vertrauen in die Fähigkeit eines jeden Menschen zu Selbstaktualisierung und personalem Wachstum;
- Die Akzeptanz von Eigen-Sinn: die Achtung vor der Autonomie und der Selbstverantwortung des Klienten und der Respekt auch vor unkonventionellen Lebensentwürfen;
- Psychosoziale Arbeit als „Lebensweg-Begleitung“: der Respekt vor der eigenen Zeit und den eigenen Wegen des Klienten und der Verzicht auf enge Zeithorizonte und standardisierte Hilfepläne;
- Die normative Enthaltsamkeit der Helfer: der Verzicht auf entmündigende Expertenurteile im Hinblick auf die Definition von Lebensproblemen, Problemlösungen und Lebensperspektiven; und
- Die Grundorientierung an einer „Rechte-Perspektive“: Menschen mit Lebensschwierigkeiten verfügen - unabhängig von der Schwere ihrer Beeinträchtigung - über ein unveräußerliches Partizipations- und Wahlrecht im Hinblick auf die Gestaltung ihres Lebensalltags.
Das Empowerment-Konzept basiert auf normativ-ethischen Grundüberzeugungen, in denen sich die Achtung vor der Autonomie der Lebenspraxis der Klienten, ein engagiertes Eintreten für soziale Gerechtigkeit und für den Abbau von Strukturen sozialer Ungleichheit sowie die Orientierung an einer Stärkung von (basis-)demokratischen Partizipationsrechten miteinander verbinden.
Selbstbestimmung und Lebensautonomie: Ein erstes normatives Fundament der Philosophie des Empowerments ist der feste Glauben an die Fähigkeit eines jeden Individuums, aus dem Schneckenhaus von Abhängigkeit, Resignation und erlernter Hilflosigkeit auszuziehen und in eigener Kraft Autonomie, Selbstverwirklichung und Lebenssouveränität zu erstreiten. Obwohl die Soziale Arbeit das Recht des Klienten auf Selbstbestimmung und Lebensautonomie stets betont, erscheint die Nennung dieses Grundwertes nicht überflüssig. Denn: Die berufsalltägliche Einlösung dieses Anspruches erfordert von den Mitarbeitern sozialer Dienste eine sensible selbstreflexive Eingrenzung der eigenen Expertenmacht („sharing power“).
Soziale Gerechtigkeit: Dieser zweite Grundwert thematisiert die gesellschaftlichen Strukturen sozialer Ungleichheit, d.h. die sozial ungleiche Verteilung von materiellen Lebensgütern (Niveau und Sicherheit des verfügbaren Einkommens und Vermögens) und immateriellen Lebensgütern (Bildung; Gesundheit; soziale Sicherung; Inklusion in tragende soziale Netzwerke). Das Empowerment-Konzept bleibt hier - auch in Zeiten eines konservativen Roll-Backs und eines durchgreifenden Reformpessimismus - einem sozialaufklärerischen Programm verpflichtet. Es ist sein Ziel, Menschen ein kritisches Bewusstsein für die Webmuster der sozial ungleichen Verteilung von Lebensgütern und gesellschaftlichen Chancen zu vermitteln und in ihren Köpfen ein analytisches Wissen um die Veränderbarkeit dieser übermächtig erscheinenden Strukturmuster zu festigen. Und es ist sein Ziel, Menschen sowohl im mikrosozialen Kosmos ihrer alltäglichen Lebenswirklichkeit als auch im makrosozialen Kosmos politischer Selbstvertretung zu sozialer Aktion anzustiften.
Demokratische Partizipation: Der dritte normative Grundpfeiler des Empowerment-Konzeptes ist das Prinzip Bürgerbeteiligung. Empowerment-Prozesse zielen auf die Stärkung der Teilhabe der Bürger an Entscheidungsprozessen, die ihre personale Lebensgestaltung und ihre unmittelbare soziale Lebenswelt betreffen. Sie zielen auf die Implementation von Partizipationsverfahren, die ihren Wünschen und Bedürfnissen nach Mitmachen, Mitgestalten, Sich-Einmischen in Dienstleistungsproduktion und lokaler Politik Rechnung tragen und eine eigenverantwortliche Gestaltung von lokalen Umwelten zulassen. In dieser Strategie sozialpolitischer Einmischung verbinden sich die Philosophie des Empowerments und die aktuelle Diskussion über „Zivilgesellschaft“ und „Kommunitarismus“. Empowerment und Kommunitarismus gemeinsam ist die Forderung, die Eigenverantwortung und Eigenbeteiligung der Bürger in der Besorgung lokaler Angelegenheiten zu stärken, neue zivile Verbindlichkeiten („Gemeinsinn“) zu etablieren und niedrigschwellige Verfahren einer kollektiven Selbstregelung in kleinen lokalen Kreisen zu implementieren.
Vor dem Hintergrund dieser „Philosophie der Menschenstärken“ ergibt sich ein neues Verständnis der professionellen Identität sozialer Arbeit. Dieses Empowerment-Verständnis können wir mit drei Stichworten kennzeichnen:
(1) „sharing power“: Die Abkehr von Paternalismus und „fürsorglicher Belagerung“
- der Verzicht auf vorschnelle Expertenurteile im Hinblick auf „Problemdeutungen“ und „Lösungen“ für den Klienten
- der Verzicht auch auf feste Ziele- und Wegevorgaben, Therapiepläne, stellvertretende Problemlösungen
- ein geduldiges Sich-Einlassen auf die Situationsdeutungen, Lebensentwürfe und Zukunftsvorstellungen des Klienten
- die Abkehr von (entmündigender) Verantwortungsübernahme; die Ermutigung des Klienten zu Eigentätigkeit und Selbstverantwortung.
(2) Der Respekt vor der Autonomie des Betroffenen und Kooperation ‚auf Augenhöhe’
- Professionelle pädagogische Arbeit versteht sich als dialogisch-reflexive Verständigung zwischen Partnern (eine „kollaborative“ Arbeitsbeziehung „auf Augenhöhe“);
- Pädagogische Arbeit ist zugleich immer auch „konfrontativer Spiegel“: Konfrontation der Selbstwahrnehmung des Klienten mit kontrastierender Fremdwahrnehmung – dies auf der Basis eines festen Vertrauensfundamentes;
- Soziale Arbeit erweist ihre Produktivität überall dort, wo sie ihren KlientInnen „Testfelder“ eröffnet für das Entdecken von eigenen Stärken und für die Erprobung von Selbstbestimmung und Eigengestaltung;
- Stellvertretendes Handeln – insbesondere bei schwerst-mehrfachbehinderten Menschen – bedarf einer verstehenden Diagnostik und einer (Team-)Reflexion von ungerechtfertigten Hilflosigkeitsunterstellungen und Entmündigungsfallen.
(3) Die Mentoren-Rolle der professionellen Helfer
Für die neue berufliche Rolle von „Empowerment-ArbeiterInnen“ finden sich in der Literatur unterschiedliche Begrifflichkeiten: Assistent – Unterstützer – Begleiter. Wir möchten hier den Begriff „Mentor“ bzw. „Mentorenschaft“ (kundige Lebensweg-Begleitung) vorschlagen. In dieser Mentorenschaft erfüllt der professionelle Helfer folgende Rollen:
- Unterstützer und mutmachender ‚Orientierungshelfer’
- Lebenswelt-Analytiker und kritischer Lebensinterpret
- Netzwerker, Ressourcendiagnostiker, Ressourcenmobilisierer
- Intermediärer Brückenbauer
- Dialogmanager und Konfliktmediator
- Vertrauensperson und anwaltschaftlicher Vertreter.
Die „zurückhaltende“ Professionalität, die in der Mentoren-Rolle zum Ausdruck kommt, wird in der Praxis vielfach missverstanden als Entqualifizierung und als Verlust von fachlicher Expertise. Aber: Das Gegenteil ist richtig. Die Mentoren-Rolle erfordert ein hohes Maß an Professionalität, die sich freilich nicht in einem Autoritäts- und Machtgefälle zwischen professionellem Helfer und Klient realisiert, sondern vielmehr in einer wertschätzenden Kommunikation und einem kooperativen Arbeitsbündnis („auf Augenhöhe“) zwischen beiden Seiten.
3. Ressourcen in der pädagogischen Praxis
Was aber ist nun konkret gemeint, wenn das Empowerment-Konzept es sich zur Aufgabe macht, die Ressourcen der Menschen fördern zu wollen? Obwohl von wachsender Popularität ist der Ressourcenbegriff in den aktuellen sozialwissenschaftlichen Diskussion oft nur vage und wenig griffig gefasst. Anknüpfend an aktuelle psychologische Diskurse wollen wir den Begriff „Ressourcen“ hier wie folgt definieren:
Unter Ressourcen wollen wir somit jene positiven Personenpotenziale („personale Ressourcen“) und Umweltpotenziale („soziale Ressourcen“) verstehen, die von der Person
- zur Bewältigung altersspezifischer Entwicklungsaufgaben,
- zur gelingenden Bearbeitung von kritischen Lebenslagen und belastenden Alltagsanforderungen sowie
- zur biographischen Verarbeitung der negativen Folgen früherer Belastungen und traumatischer Erlebnisse
genutzt werden können und damit zur Sicherung ihrer psychischen Integrität und zu einem umfassenden biopsychosozialen Wohlbefinden beitragen.
Wir unterscheiden strukturelle, personale und soziale Ressourcen:
(1) Strukturelle Ressourcen: Strukturelle Ressourcen sind Potenziale von Lebensqualität, die an die jeweilige soziale Lebenslage des Einzelnen bzw. der Familie gebunden sind. Sie bestimmen als „strukturelle Hintergrundvariablen“ die subjektive Erfahrung von Sicherheit, Gestaltungsvermögen und sozialer Anerkennung. Zu nennen sind hier folgende „Kapitalsorten“:
- ökonomisches Kapital: Erwerbseinkommen, Vermögen, Besitz, hergestellt durch die Teilhabe am Arbeitsmarkt und die relative Sicherheit von Arbeitsplatz und Erwerbseinkommen; des weiteren: die Verfügung über unmittelbar in Geld konvertible Ressourcen wie z.B. Kapital- und Wertpapierbesitz; Grundbesitz, Wohneigentum, Mieterträge; Eigentum von Produktionsmitteln;
- kulturelles Kapital: die Summe der in der subjektiven Bildungsgeschichte angeeigneten Selbstschemata, Wissensbestände, Fertigkeiten, Einstellungen und Überzeugungen; ein analytisches Wissen zur Reflexion von Selbst und Umwelt; das „institutionalisierte“ kulturelle Kapital, d.h. Bildungsabschlüsse und formal zertifizierte Qualifikationen, die Dokumente des arbeitsmarktbezogenen individuellen Konkurrenzvermögens und damit „Eintrittskarten“ für den Arbeitsmarkt sind;
- symbolisches Kapital: die Bindung an ein festes (religiöses/ethisches/politisches) Werte- und Glaubenssystem; die Verpflichtung auf ein identitätssicherndes System von Werten, Normen, Regeln; die Einbindung in eine subjektive Handlungsethik;
- ökologisches Kapital: in Abhängigkeit von ökonomischen Ressourcen - ein hohes Maß an subjektiven Freiheitsgraden im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung der Wohnbedingungen (Gebäude- und Wohnform; Wohnungsgröße; Qualität der Wohnungsausstattung); Wohnumfeldqualität: der Zugang zu einer anregungsreichen natürlichen, baulichen und kulturellen Umwelt.
Die Empowerment-Arbeit beginnt dort, wo alle psychosoziale Arbeit beginnt: bei der Sicherung einer lebbaren Existenzgrundlage (Arbeit; Bildung; Wohnen). Erst auf der verlässlichen Grundlage einer relativen strukturellen Sicherheit sind personales Wachstum und soziale Inklusion möglich. Dieses Argument ist nur scheinbar selbstverständlich – ein Blick auf die Lebensverhältnisse von Menschen der Dritten Welt, aber auch auf die gegenwärtig in der Bundesrepublik akute Diskussion über Leistungskürzungen in der sozialstaatlichen Basissicherung und „neue“ Armut dokumentieren dies nachdrücklich.
(2) Personale Ressourcen: Diese Ressourcenkategorie umfasst lebensgeschichtlich gewachsene, persönlichkeitsgebundene Selbstwahrnehmungen, werthafte Überzeugungen, emotionale Bewältigungsstile und Handlungskompetenzen, die der Einzelne in der Auseinandersetzung mit kritischen Lebensereignissen zu nutzen vermag und die ihm ein Schutzschild gegen drohende Verletzungen sind. Aus dem Bereich der Persönlichkeitspsychologie liegen zahlreiche empirische Untersuchungen zur Vermessung produktiver personaler Ressourcen vor. Inhaltlich werden genannt:
- Beziehungsfähigkeiten („emotionale und soziale Intelligenz“): Empathie und Sensibilität für die inneren Befindlichkeiten, die Motive, Wünsche, Interessen anderer Menschen; Offenheit in der Kommunikation von Gefühlen, Bedürfnissen, Wünschen; die Fähigkeit, freundschaftliche und vertraute Bindungen einzugehen und aufrecht zu erhalten; Respekt gegenüber anderen; Verlässlichkeit; die Fähigkeit, berechtigte Kritik an der eigenen Person akzeptieren zu können sowie die Fähigkeit zu einer balancierten, nicht-disruptiven Problem- und Konfliktlösung;
- Selbstakzeptanz und Selbstwertüberzeugung: eine geringe negative Affektivität, ein ungebrochenes Selbstwertgefühl und der feste Glaube an die Sinnhaftigkeit der eigenen Lebensziele und –werte;
- Internale Kontrollüberzeugung: ein hohes Maß an Bewältigungsoptimismus; der feste Glaube an die Gestaltbarkeit von Umwelt und neuen Lebenssituationen und das Vertrauen in die eigene Gestaltungskompetenz;
- Aktiver Umgang mit Problemen: eine aktive Auseinandersetzung mit Umweltanforderungen und die zielgerichtete Suche nach Problemlösungen;
- Flexible Anpassung an Lebensumbrüche: die Fähigkeit, nicht vorhergesehene Veränderungen des Lebensplanes in einen übergreifenden Lebensentwurf integrieren zu können; und
- Veröffentlichungsbereitschaft: die Bereitschaft und die Fähigkeit der Person, in Lebenskrisen Hilfesignale an andere zu versenden und deren soziale Unterstützung in einer den anderen nicht überfordernden Weise einzufordern.
Vor allem dort, wo Menschen in kritische Lebensetappen eintreten, erweisen sich diese personalen Ressourcen als bedeutsame präventive Kraftquellen der Gesunderhaltung und der Identitätssicherung. Denn: Der Rückgriff auf personale Ressourcen macht es dem Einzelnen möglich, den Herausforderungen psychosozialer Belastungen zu begegnen, ohne dauerhafte Symptome der Überforderung (somatische Erkrankung; psychische Beeinträchtigung; psychosoziale Auffälligkeit u.a.m.) zu entwickeln. Personale Ressourcen sind somit „eine Elefantenhaut für die Seele“.
(3) Soziale Ressourcen: Diese letzte Ressourcenkategorie verweist auf das soziale Eingebunden-Sein („embedding“) des Einzelnen bzw. der Familie in unterstützende Netzwerke (Verwandtschafts-, Freundschafts-, Bekanntschafts- und Interessennetzwerke). Diese sozialen Beziehungsnetzwerke sind Orte der sozialen Unterstützung – in ihren privaten Kreisen werden handfeste Lebenshilfe und emotionaler Begleitschutz mobilisiert, welche den Menschen insbesondere in der Bewältigung schwieriger Lebensphasen Ressource sind. In der Literatur werden folgende Funktionen sozialer Unterstützung unterschieden:
- Emotionale Unterstützung: die Verminderung von Ohnmachts-, Abhängigkeits- und Isolationserfahrungen; die Stärkung der Selbstwerterfahrung durch die Wertschätzung und die Ich-stützende Anerkennung der anderen;
- Instrumentelle Unterstützung: die Bereitstellung von materiellen Hilfen, konkreten Handlungstechniken und handfesten praktischen Alltagshilfen im Umgang mit einem kritischen Lebensereignis; die Vermittlung von entlastenden Hilfen und die Unterstützung des Betroffenen bei der schwierigen Suche nach einer veränderten Lebensorientierung;
- Kognitive (informationelle) Unterstützung: Aufklärung und Information über Rechtsansprüche und verfügbare Dienstleistungen; Hinweise auf weitere hilfreiche Ressource-Personen; Orientierungshilfe durch Vermittlung von neuen Informationen und durch das Öffnen von Türen zu neuen Informationsquellen;
- Aufrechterhaltung der sozialen Identität: die Stärkung des Selbstwertes und der sozialen Identität durch die Kommunikation von Wertschätzung, Anerkennung und Zuwendung auch und gerade in Zeiten der subjektiven Belastung;
- Vermittlung von neuen sozialen Kontakten: das In-Kontakt-Bringen mit anderen Menschen in vergleichbarer Lebenslage; die Stärkung des Gefühls des sozialen Eingebundenseins.
Gelingt es der psychosozialen Arbeit, Menschen in solchermaßen „sorgende“ Netzwerke einzubinden, so hat dies einen direkten positiven Einfluss auf Selbstwerterleben, Wohlbefinden und Lebensqualität. Soziale Unterstützung befriedigt allgemeine soziale Bedürfnisse nach Teilhabe, Anerkennung und sozialem Aufgehoben-Sein. Die Befriedigung dieser sozialen Bedürfnisse aber schafft ein Fundament von Wohlbefinden, das biographische Verläufe gegen Verletzungen und psychosoziale Brüche absichert.
4. Handwerkszeuge: Methoden des Empowerments
Wenden wir uns nun den Handwerkszeugen einer Sozialen Arbeit zu, die Menschen zur Entdeckung der eigenen Stärken anstiften und sie in die Rolle von autonomen Regisseuren der eigenen Lebensgeschichte einsetzen möchte. In der Literatur werden in der Regel vier Ebenen des Empowerments unterschieden, denen je eigene methodische Werkzeuge korrespondieren:
(1) Die Ebene der Einzelhilfe - die Konstruktion lebbarer Lebenszukünfte
Beispiele für eine praktische Umsetzung des Empowerment-Konzeptes auf der Individualebene entstammen überwiegend dem Handlungsfeld der Beratung und der sozialen Einzelhilfe. Gemeinsam ist diesen personenbezogenen Arbeitsansätzen der Versuch, der betroffenen Person Auswege aus erlernter Hilflosigkeit zu erschließen. Der Kontrakt zwischen Sozialarbeiter und Klient hat das Ziel, Hilfestellungen zu vermitteln, vermittels derer der Betroffene aus einer Situation der Machtlosigkeit, Resignation und Demoralisierung heraus das Leben wieder in die eigenen Hände zu nehmen vermag, Vertrauen in das eigene Vermögen zur Lebens- und Umweltgestaltung gewinnt, verschüttete Kraftquellen von Kompetenz und Vermögen entdeckt und zur Gestaltung relevanter Lebensausschnitte einsetzt. Hier kommen drei, einander ergänzende methodische Werkzeuge zum Einsatz:
Ressourcendiagnostik: In der psychosozialen Landschaft gibt es eine Vielzahl von Test-, Fragebögen- und Diagnostikverfahren, die die Lebensprobleme der KlientInnen, ihre Defizite und unzureichenden Bewältigungskompetenzen detailliert ‚vermessen’. Eine Leerstelle ist hingegen dort zu vermerken, wo es darum geht, die Stärken der KlientInnen – ihre Ressourcen – systematisch zu erfassen. Bis heute sind in der Sozialen Arbeit nur wenige Verfahren der Ressourcendiagnostik verfügbar – und dies obwohl ressourcenorientierte Praxiskonzepte insbesondere im systemisch-lösungsorientierten Beratungsansatz schon seit fast zwei Jahrzehnten eine weite Verbreitung gefunden haben. Ressourcendiagnostik hat im Kontext der Empowerment-Arbeit vor allem drei Funktionen: (1) Erstdiagnostik und Hilfeplanung: Empowerment-Arbeit hat zum Ziel, die dem Klienten verfügbaren Bewältigungsressourcen systematisch in den Hilfeprozess einzubeziehen und zugleich lebensgeschichtlich verschüttete Ressourcen (‚Lebensstärken’ in der biographischen Vergangenheit) wieder aufzufinden und zugänglich zu machen. Im Rahmen des Erstgesprächs und der anschließenden individuellen Hilfeplanung ist daher eine präzise Vermessung von Ressourcen unverzichtbar. (2) Prozessbegleitende Reflexion: Die Ressourcendiagnostik kann über die Hilfeplanung hinaus auch als Instrument der Verfahrensevaluation eingesetzt werden. Sie eignet sich als eine praktische Reflexionshilfe, mit der Sozialarbeiter und Klient im Verlauf ihres Arbeitskontraktes wiederholt das je aktuelle Ressourcensetting visualisieren, die bereits eingetretenen Veränderungen dokumentieren, Hindernisse im Zugang zu Ressourcen reflektieren und das weiterführende Hilfeverfahren neu organisieren. (3) Evaluation und Qualitätsdokumentation: Im Rahmen der abschließenden Fallevaluation schließlich dienen Verfahren der Ressourcendiagnostik zur Abschätzung von Ressourcenentwicklungen (quantitative und qualitative Veränderungen).
Unterstützungsmanagement: Werkzeug der Empowerment-Arbeit auf der Individualebene ist zum zweiten das Unterstützungsmanagement. Unterstützungsmanagement (Case Management; „Fall-Management“) ist ein ganzheitliches unterstützendes Arrangieren von Lebensressourcen. Auf der Grundlage einer gemeinsamen Verständigung über Zielsetzungen und Schrittfolgen werden verfügbare Hilferessourcen in der privaten Lebenswelt und in den öffentlichen Dienstleistungsagenturen zu einer konzertierten Unterstützungsaktion zusammengeführt. Auf diese Weise konstituiert sich ein grenzübergreifendes Ressourcen-Netzwerk, das in Lebenszeiten der Belastung spürbare Entlastung und Hilfestellung zu geben vermag.
Selbstnarration und Biographiearbeit: Dieser dritte Baustein verknüpft die Empowerment-Arbeit mit der aktuellen Diskussion über „narrative Identitätsarbeit“ und „biographisches Erzählen“. Grundüberzeugung dieser Debatte, die vor allem in der narrativen Psychologie geführt wird, ist es, dass Menschen Lebenskohärenz, also die sichernde Erfahrung der Sinnhaftigkeit der eigenen Lebensgeschichte, in Selbsterzählungen (Selbstnarrationen) konstruieren. Diese Grundüberzeugung der narrativen Psychologie macht einen direkten Brückenschlag zur Methodik der Empowerment-Arbeit möglich. Das erzählende (Wieder-) Aufgreifen von biographischen Fäden im pädagogischen Dialog hat zum Ziel, Würde, Wert und Stolz des eigenen Lebens zu erinnern, Kontinuität und Lebenskohärenz allen Lebensbrüchen zum Trotz herzustellen und die Schatten negativ eingefärbter Selbst-Typisierungen zu bannen. Das biographische Erzählen öffnet Möglichkeitsräume, in denen der Einzelne Sprache finden kann und in der reflexiven Aneignung der lebensgeschichtlichen Erfahrungen Werkzeuge für die Bearbeitung des Zurückliegenden und Orientierungen für das noch unbekannte Zukünftige gewinnen kann.
(2) Die Ebene der Gruppenarbeit - das Stiften von Zusammenhängen:
Empowerment ist aber nicht nur Ergebnis eines einzelfallbezogenen Settings von Beratung und Begleitung. In vielen (vielleicht sogar den meisten) Fällen ist Empowerment das Produkt einer ‚konzertierten Aktion‘ - das gemeinschaftliche Produkt von Menschen also, die sich zusammenfinden, ihre Kräfte bündeln und gemeinsam aus einer Situation der Machtlosigkeit, Resignation und Demoralisierung heraus beginnen, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen. Anschauungsmaterialien für diese eigeninitiierten und dynamisch verlaufenden Gruppenprozesse finden sich in unterschiedlichen Handlungsfeldern: in der Netzwerkarbeit mit Familien-, Freundschafts- und Gleichaltrigen-Systemen; in der Unterstützung von Selbsthilfegruppen; in der Arbeit mit kommunalpolitisch engagierten Bürgerinitiativen. In all diesen Feldern sozialer Aktion sind Empowermentprozesse in sozialer Gemeinschaft eingelagert, es vollzieht sich die Entfaltung personaler Kräfte in der stärkenden Gemeinschaft mit anderen. Für die Soziale Arbeit ergibt sich damit auf dieser gruppenbezogenen Ebene die Aufgabe, Menschen miteinander zu verknüpfen und ihnen Aufbauhilfen bei der Gestaltung von unterstützenden Netzwerken zu vermitteln. In das Zentrum der sozialen Praxis tritt so das Stiften von Zusammenhängen: die Inszenierung, der Aufbau und die Weiterentwicklung von fördernden Netzwerkstrukturen.Hier kommen zwei methodische Werkzeuge zum Einsatz:
Netzwerkberatung - das Kitten von Beziehungsrissen: Arbeitsansätze der Netzwerkberatung zielen auf Beziehungsnetzwerke, die auf gewachsenen familiären, verwandtschaftlichen oder freundschaftlichen Beziehungen beruhen und die ein relativ hohes Maß an Vertrautheit implizieren. Ziel der Arbeit auf dieser Ebene ist es, Verbindungen, die sich in der Zeit gelockert haben, enger zu knüpfen, die Risse zwischen auseinandergerissenen Netzwerkteilen zu kitten, den Austausch und die zielgenaue Nutzung von sozialen Unterstützungsleistungen zu intensivieren. Methodisches Instrument dieser Vernetzung ist die Netzwerk-Konferenz, die eine Plattform bereitstellt, auf der es möglich wird, die verfügbaren Unterstützungsressourcen und Hilfebereitschaften des natürlichen Netzwerkes zu bündeln und zu einem konzertierten Hilfe-Arrangement zu verknüpfen.
Netzwerkförderung - das Stiften neuer sozialer Zusammenhänge: Vielfach steht die soziale Arbeit jedoch vor der Situation, dass problemadäquate natürliche Unterstützungsnetzwerke - aufgrund einer durchgreifenden Individualisierung der Lebenswelten und der darin eingelagerten Vereinsamung von Menschen - nicht verfügbar sind. Hier kommt der sozialen Arbeit die Aufgabe zu, Gemeinschaft neu zu inszenieren, indem sie Menschen mit gleichartigen Betroffenheiten und Anliegen miteinander in Kontakt bringt und durch diese initiale Vernetzung Zugänge zu sozialer Teilhabe und Partizipation eröffnet. Soziale Arbeit ist hier Wegweiser zu Personen, die in gleicher Weise kritische Lebensabschnitte durchlaufen. Sie ist zugleich Starthilfe und organisatorisches Rückgrat für diese neu entstehenden Beziehungsnetze und Selbsthilfegruppen und fachliche Beratung in kritischen Etappen des Gruppenprozesses.
(3) Die Ebene der Organisation - das Eröffnen von Räumen der Bürgerbeteiligung
Empowerment auf institutioneller Ebene zielt auf die Stärkung und die Verbreiterung von Bürgerbeteiligung und zivilem Engagement. Gefragt sind hier Gegenrezepte gegen den resignativen Rückzug der Bürger ins Private. Gefragt ist ein strittiges Sich-Einmischen der Bürger - ihre aktive Einflussnahme auf kommunale Belange, auf soziale Dienstleistungsprogramme und lokale Politikvorhaben. Empowerment verknüpft sich in dieser Forderung mit der aktuellen Diskussion über „Partizipation“, „Kundenorientierung“ und „neue Steuerungsmodelle“. Empowerment-Arbeit auf institutioneller Ebene meint hier: die Stärkung der Responsivität administrativer Strukturen für Bürgerbelange und die Etablierung von Verfahren der formalen Beteiligung, die sachverständigen Bürgern ein Mandat im Prozess der Planung, Gestaltung und Implementation von sozialen Dienstleistungen geben. Erste modellhafte Erprobungen solcher Partizipationsverfahren - die Bürgerbeiräte - eröffnen hier neue Perspektiven: Sie sehen die Einberufung von Beiräten auf der Ebene der kommunalen Sozialpolitik vor, in denen engagierte und in der Regel zugleich ‚problembetroffene‘ Bürger ein formales Aufsichts- und Kontrollmandat ausüben (z.B. Beirat für die Belange wohnungsloser Menschen; Beirat für Fragen der gemeindlichen psychosozialen Versorgung; Beirat für kommunale Seniorenarbeit; Beirat für Migrationsfragen). Die Betroffenen treten hier ein in die Rolle von ‚aktiven Konsumenten‘; sie werden auch im administrativen Raum zu Experten in eigener Sache, die in zweierlei Weise Einfluss ausüben: zum einen durch die Mitwirkung auf der Ebene der Konzeptentwicklung und der Planung von Dienstleistungen; und zum anderen durch die kritische Überprüfung und Evaluation der Implementation dieser Dienstleistungsprogramme.
(4) Die Ebene der Gemeinde - das Schaffen eines förderlichen Klimas für Selbstorganisation und bürgerschaftliches Engagement
Empowerment auf der Nachbarschafts- und Gemeindeebene schließlich zielt auf die Schaffung eines förderlichen lokalen Klimas für die Selbstorganisation und Partizipation von Menschen. Gemeindliches Empowerment lebt vom erklärten politischen Willen wie auch von der Implementation vielfältiger Programme und Initiativen, in denen Vertreter von Politik, Dienstleistungsbehörden, Verbänden usw. und engagierte Bürger kooperativ und gleichberechtigt Facetten der lokalen Lebensqualität umgestalten. Beispiele für Mut machende Programme der community organization entstammen dem Kontext des „Healthy Cities-Programms“ der Weltgesundheitsorganisation: Hier werden in einem Joint Venture und in gemeinsamer Verantwortung von Gesundheitsdienstleistern und engagierten Bürgern Projekte erarbeitet und realisiert, die weit über einen engen Gesundheitsfokus hinaus Beiträge zu einer Verbesserung der kommunalen Lebensqualität in kleinen Schritten sind: architektonische Wohn(umfeld-)gestaltung; Einrichtung von Tauschbörsen und Servicebüros für ehrenamtliches Engagement; Einflussnahme auf die inhaltliche Gestaltung von Erziehungs-, Beratungs- und Freizeit-Dienstleistungsprogrammen in Form von „Nutzer-Beiräten“; Schaffung von „Kinder- und Jugendparlamenten“ und Senioren-Beiräten mit politischem Mandat usw.
5. „…wenn gar nichts mehr geht“: Ressourcenorientierte Beratung mit gering motivierten Klienten
„…wenn gar nichts mehr geht…“ Fachleute, die ihren Klienten in den letzten Jahren zunehmend neue Freiheiten, Teilhabemöglichkeiten und Chancen der Selbstgestaltung eröffnet haben, sind häufig enttäuscht darüber, dass diese die neuen Freiheiten so wenig nutzen, ja sie als subjektive Überforderung zurückweisen. Zu den Hintergründen hier einige Anmerkungen:
Die Lebensgeschichte vieler der Menschen, die uns in der pädagogischen Praxis begegnen, ist eine Geschichte der Demoralisierung und der erlernten Hilflosigkeit. Sie haben immer wieder die Erfahrung gemacht, keinen oder nur geringen Einfluss darauf zu haben, was mit ihrem Leben geschieht: ob sich das Rad der Armut und der Deklassierung weiter dreht, alte Süchte oder Erkrankungen wiederkehren, ob nahestehende Personen sich entfernen, ein erneuter Berufseinstieg in Sackgassen endet – das eigene Leben erscheint zufallsgesteuert, in den Händen der Anderen. Dieses dauerhafte Erleben aber, die Kontrolle über den Kurs des eigenen Lebens verloren zu haben, mündet in Passivität und Rückzug, Verlust von motivationaler Kraft und Veränderungsoptimismus.
Auswege aus dieser Sackgasse der Demoralisierung eröffnen sich dort, wo Menschen kontrastive Lernerfahrungen machen können, die ihnen das Gefühl der Selbstwirksamkeit zurück geben. Denn: Nur dort, wo Menschen lernen (behutsam, Schritt für Schritt, nicht ängstigend), wichtige Entscheidungen im eigenen Leben selbst zu treffen, nur dort, wo sie in diesen Entscheidungen unterstützt und sichernd begleitet werden, entstehen Handlungsbereitschaft, Aktivität, Hoffnung auf positive Lebensveränderungen. Folgende Aktivitäten bieten sich an, „…wenn gar nichts mehr geht“.
- Validierung der negativen Wahrnehmung des Klienten von Selbst, Umwelt und Zukunft; die Erfahrung des Angenommen-Seins vermitteln - auch im Lichte negativer Selbstkognitionen („ich bin ganz unten“); Anschluss an negativ eingefärbte Lebenserfahrungen finden („joining“); das Erlittene wahrnehmen, Schmerz und Verzweiflung anerkennen und Mitgefühl kommunizieren;
- Perspektivwechsel: einen „ersten Hoffnungsfunken“ zünden; Mut machen und Kraft vermitteln für einen ersten Schritt aus der Hoffnungslosigkeit („sicher können Sie einen ersten Schritt in eine neue Richtung gehen“); „kleine“ Ziele der Lebensverbesserung gemeinsam definieren;
- Remoralisierung: die letzten Funken Lebenswillen, Hoffnung und Veränderungskraft betonen; Hoffnung wieder aufbauen; Ressourcen für die Erreichung kleinster erster Ziele aufsuchen; das commitment und die motivationale Kraft des Klienten stärken („ ich kann und will etwas verändern in meinem Leben“);
- „Stellvertretende Entscheidungen“ treffen, die den Betroffenen in eine Situation des Neuen und der Veränderung stellen; Entscheidungssituationen („in kleiner und verträglicher Dosis“) inszenieren;
- Entscheidungsspielräume eröffnen; verfügbare Entscheidungsoptionen transparent machen; anfänglich ggf. Empfehlungen geben („mentoring“) – dies aber ohne Druck auszuüben;
- eine Haltung des Zutrauens und der Anerkennung dokumentieren;
- Entscheidungen positiv konnotieren, Mut machende Rückmeldung geben, Unterstützung anbieten;
- das Recht auf Risiko und Irrtum zugestehen; Sackgassen und Irrwege als „Lernmaterial“ interpretieren; Fehlschläge mit Hoffnung stiftender Kommentierung abfedern;
- ggf. die Lerngeschichte des Verlusts von Entscheidungsfähigkeit und Selbstbestimmung im biographischen Gespräch aufarbeiten,
- ein stärkender Umgang mit Traumata: Sicherheit schaffen (u.a. durch Stabilisierung im aktuellen räumlichen Setting); die Suche nach Orten und Menschen, die Sicherheit und Stabilität spenden; der Einsatz imaginativer Techniken („Tresor-Übung“: das Schreckliche sicher wegschließen).
6. Evaluation: Produkte erfolgreicher Empowerment-Prozesse
(1) Psychologisches Empowerment
Psychologisches Empowerment beschreibt die individuellen Niederschläge von Empowerment-Erfahrungen: die Veränderungen in der psychischen Ausstattung der Menschen. Diese Veränderungen sind in der Literatur in unterschiedlichen Begrifflichkeiten gefasst worden. Gemeinsam ist diesen das Bild des Schutzschildes: Menschen - an den Endstationen Mut machender Reisen in die Stärken angekommen - erwerben das Schutzschild einer spezifischen seelischen Widerstandsfähigkeit, das es ihnen in ihrer weiteren Biographie möglich macht, die Bedrohungen und Gefährdungen erneuter Hilflosigkeit abzuwehren.
Besondere Beachtung hat in der Debatte das Konzept von Antonovsky (1997) gefunden. Psychologisches Empowerment kann im Anschluß an Antonovsky inhaltlich bestimmt werden als die Entwicklung und Bestärkung eines Kohärenzgefühls (sense of coherence). Das Gefühl der Kohärenz – das ist nach Antonovsky ein identitätssicherndes Gefühl der ‚Lebensganzheit‘, in dem ein positives Bild der eigenen Handlungsfähigkeit, das sichere Wissen um die Sinnhaftigkeit des eigenen Lebens und die Gewissheit der Person, Biographie, Alltagsverhältnisse und soziale Umwelt aktiv und eigenbestimmt gestalten zu können, zusammenfließen. Kohärenzsinn umfasst nach Antonovsky folgende drei Komponenten:
- die Fähigkeit des Subjektes, die Ereignisse und Verläufe des eigenen Lebens trotz ihrer widersprüchlichen, offenen und unabsehbaren Struktur in einen (Lebenskontinuität vermittelnden) Ordnungsrahmen zu sortieren und so in einen übergreifenden biographischen Sinnzusammenhang zu stellen – „Verstehbarkeit“ (comprehensibility);
- das optimistische Vertrauen, die Veränderungen, Herausforderungen und Umbrüche des Alltags mit den verfügbaren personalen und sozialen Ressourcen bewältigen zu können – „Handhabbarkeit“ (manageability); und
- ein Gefühl der Sinnhaftigkeit und des Lebensgelingens, das sich vor allem dort einstellt, wo es dem Subjekt gelingt, Selbstansprüche und Identitätsziele in Lebensprojekte zu übersetzen, die ihm die Erfahrung authentischer (Selbst-) Wertschätzung vermitteln – „Sinnhaftigkeit“ (meaningfulness).
Vor allem dort, wo Menschen in kritische Lebensetappen eintreten, erweist sich das Kohärenz-Gefühl als eine bedeutsame Ressource der Gesunderhaltung und der Identitätsstabilisierung. Menschen, die ihr aktuelles Leben, ihre Biographie und ihre sozialen Netzwerke als ‚stimmig‘ und ‚wertvoll‘ erachten, verfügen über ein bedeutsames inneres Kapital, das es ihnen möglich macht, Krisenzeiten produktiv zu bewältigen. Das Gefühl von Kohärenz entfaltet seine schützende Wirkung in dreierlei Weise: Es führt dazu, dass Menschen (1) fordernden Situationen mit einem Vorschuss an Optimismus begegnen und sie nicht als Belastung und potentielle Gefährdung von Wohlbefinden einschätzen; dass sie sich (2) ihrer Umwelt weniger ausgesetzt fühlen und kumulierenden Belastungen mit einem geringeren Maß an Ängstlichkeit und diffuser Emotionalität gegenüber treten; und dass sie (3) in der Lage sind, ein problemangemessen-zugeschnittenes Set von Widerstandsressourcen zu mobilisieren und die für die Situation angemessenen Bewältigungsstrategien zu wählen.
(2) Politisches Empowerment
Politisches Empowerment weist über die Ebene der Selbstveränderung hinaus. In den Mittelpunkt rücken hier die im öffentlichen Raum sichtbaren und in handfesten Veränderungen der Lebenswelt messbaren Effekte des sozialen Engagements: die Aktionen bürgerschaftlicher Einmischung, das öffentliche Eintreten der Bürger für eine Teilhabe an Prozessen der politischen Willensbildung, ihre solidarische Gemeinschaft in Selbsthilfe-Gruppen und Bürgerbewegungen:
- das aktive Engagement des Einzelnen - zivilgesellschaftliche Kompetenz: bürgerschaftliches Engagement und die Übernahme von Verantwortung und Leitungsfunktionen in lokalen Netzwerken der Selbstorganisation; und das aktive Eintreten für eine Demokratisierung sozialer Lebensgüter auf der Bühne der lokalen Öffentlichkeit;
- die Selbstverpflichtung auf ein öffentliches soziales Gut: die Bereitschaft, sich jenseits der Grenzen von Eigennutz und partikularen Interessen auf öffentliche Anliegen und Aufgaben einzulassen, sich einzumischen und für ein gemeinsames öffentliches Gut zu streiten;
- ein kritisch-analytisches Verständnis der sozialen und politischen Webmuster der Lebenswelt: das Wissen um hilfreiche Ressourcen, Allianzen und Strategien der Meinungsmobilisierung und der Interessendurchsetzung;
- das gefestigte Vertrauen in die eigene Gestaltungskompetenz zur Veränderung der lokal-politischen Umwelt: das Vertrauen in das eigene Vermögen, (gemeinsam mit anderen) relevante Ausschnitte der Lebenswelt aktiv gestalten und Einfluss auf die kommunalpolitischen Prozessen der Willensbildung und Entscheidungsfindung nehmen zu können.
In diesen Dimensionen spiegelt sich ein optimistisches, kontext-orientiertes Konzept von Empowerment. Menschen verlassen die ausgetretenen Pfade erlernter Hilflosigkeit. Sie gewinnen - gemeinsam mit anderen - Zuversicht, sie werden zu Aktivposten in der Gestaltung lokaler Lebensverhältnisse und gehen auf eine gemeinsame Reise in die Stärke, in deren Verlauf sie mehr und mehr zu einem Machtfaktor auf der Bühne der lokalen Öffentlichkeit werden und die lokale sozialpolitische Landschaft verändern.
7. Empowerment und Organisationsentwicklung: Der Empowerment-Zirkel
„Erst heute - aus der Rückschau - kann ich ermessen, was eine gemeinsame Philosophie des beruflichen Handelns wert ist. Vor meinem Wechsel hierhin (in die Trennungs- und Scheidungsberatung eines privaten Trägers; N.H.) habe ich die meiste Kraft wohl nicht in der direkten Arbeit mit Ehepaaren, Teilfamilien und Familien verbraucht, sondern in der hausinternen Überzeugungsarbeit. Immer gegen die (nie offen formulierte, immer hinter vorgehaltener Hand versteckte) Skepsis und Geringschätzung der anderen ankämpfen und das eigene Gegen-den-Strom-Schwimmen rechtfertigen zu müssen, das kostet einen hohen Preis. Die Sicherheit jetzt, dass die anderen KollegInnen auf der gleichen Welle schwimmen, und die wechselseitige Ermutigung, in einer akzeptierenden und stärkenorientierten Arbeitshaltung fortzufahren, das ist mit Geld nicht zu bezahlen“ (Mitarbeiterin einer Trennungs- und Scheidungsberatungsstelle).
Diese Zitat macht eines recht deutlich: Berufliche Alleingänge in Sachen Empowerment sind ein riskantes Unterfangen. Die Rolle des Einzelkämpfers, der sich ‚in heroischem Kampf‘ gegen das Gewicht der Routine stemmt, überfordert wohl auf Dauer die Kräfte des einzelnen. Was notwendig ist, das ist die Absicherung des einzelnen Mitarbeiters in einer institutionell geteilten „Kultur des Empowerment“. Ein Instrument, das sich im Rahmen von Teamberatung und Organisationsentwicklung bewährt hat, ist hier der „Empowerment-Zirkel“. Empowerment-Zirkel - das sind funktionsübergreifend zusammengesetzte Arbeitsgruppen (ggf. auch das Gesamtteam einer Einrichtung), die in synergetischer Kopplung von Einzelbeiträgen Vorschläge für eine Veränderung von institutionellem Leitbild und ‚corporate identity‘, von methodischem Profil und kollegialen Kommunikationsstrukturen im Zeichen von Empowerment ausarbeiten und deren Implementation unterstützend begleiten.
Der „Empowerment-Zirkel“ - Empowerment-Arbeit im Team
Der Empowerment-Zirkel ist ein methodisches Instrument der Organisationsentwicklung. Empowerment-Zirkel arbeiten analog der im Produktionsbereich bereits seit den 50er Jahren eingeführten „Qualitäts-Zirkel“ (Arbeitskreise zur Verbesserung der Produkt-Qualität und der Arbeitsqualität). Ziel ist die gemeinsame Erarbeitung von empowerment-förderlichen Organisationsstrukturen („empowering organizations“), d.h. also die Gestaltung von Arbeitsplatzstrukturen, die
- eine gemeinsame institutionelle „Kultur des Empowerment“ anregen und fördern;
- die Motivation der MitarbeiterInnen fördern, die ihre spezifischen Fähigkeiten und Stärken in der Empowerment-Arbeit aktivieren und ihre Identifikation mit dem Empowerment-Programm bestärken;
- das Engagement und die subjektive Arbeitszufriedenheit der MitarbeiterInnen durch die positiv erfahrene Einbindung in eine verlässliche und von allen Mitgliedern geteilte Organisationskultur befördern.
Die Arbeit an einer institutionellen „Kultur des Empowerment“ ist eine dauerhafte, nie wirklich abgeschlossene Arbeit im Team. Hierzu bedarf es eines festen Ortes und eines festen organisatorischen Settings. Die im folgenden aufgelisteten Themen strukturieren das Gespräch.
Themen des Empowerment-Zirkels sind u.a.:
Der Perspektivenwechsel von der Defizit- zur Stärkenorientierung:
Die (durch einen externen Moderator geleitete) Diskussion über die „Philosophie der Menschenstärken“ und ihren spezifischen Zuschnitt im jeweiligen institutionellen Handlungsfeld; die kritische Reflexion defizitgeprägter Wahrnehmungsmuster für ‚typische‘ Problemfälle und der kontrastierende Blick auf verfügbare personale und soziale Ressourcen; die Einführung von ergänzenden Verfahren zur Diagnose von Stärken und Ressourcen im Rahmen von Erstgesprächen, Sozialanamnese und Hilfeplanung („Verfahren der Kompetenzdiagnostik“); multiperspektivische Fallgespräche im Team, in denen (von zwei ModeratorInnen) zum einen die Problemlage und die defizitgepägten Handlungsanteile des Klienten, zum anderen seine Stärken und Ressourcen kontrastierend vorgestellt werden.
Die Verständigung auf einen gemeinsamen Zielkatalog (Leitbild):
Die gemeinsame Verständigung des Teams auf Parameter und Standards, an denen wünschenswerte Veränderungen der Lebenslage der Klienten (Ergebnisqualität), gelingende Arbeitsbeziehungen zwischen Sozialarbeiter und Klient (Prozessqualität) und ‚stimmige‘ institutionelle Strukturbedingungen (Strukturqualität) bemessen werden.
Die Transparenz von Informationen und Entscheidungen:
Die Transparenz von Input-Informationen, Verfahren, Entscheidungen und organisatorischen Planungen für alle MitarbeiterInnen; der Abbau hierarchischer Informations- und Kommunikationswege; ein Informationsnetzwerk, in dem die MitarbeiterInnen sich als ‚Teilhaber‘ der Organisation erfahren.
Eine partizipative institutionelle Entscheidungsstruktur:
Die Enthierarchisierung von institutionellen Entscheidungs- und Kontrollstrukturen; eine Delegation von Entscheidungsbefugnissen und eine ergebnisorientierte Entscheidungsfindung in flachen Hierarchien („partizipatives Management“); die Ersetzung von alten Hierarchien durch selbstgesteuerte Teams; eine klare und für alle transparente Verteilung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten.
Die Suche nach fördernden und sichernden Teamstrukturen:
Eine Team-Kultur wechselseitiger Achtung und Anerkennung; die Akzeptanz unterschiedlicher fachlicher Perspektiven und methodischer Arbeitsformen; kollegiale Fallberatung: der emotional entlastende Austausch in fallbezogenen Situationen der Unsicherheit; die kooperative Fallbearbeitung im multiprofessionellen Team; eine offene Konfliktaustragung und nicht-destruktive Lösungsverfahren; die Erfahrung von Verlässlichkeit und allseitigem Engagement.
Die Komplementarität von Zuständigkeiten und Methoden:
Die Abgrenzung spezifischer inhaltlicher Zuständigkeiten („Arbeits-Domänen“) und methodischer Kompetenzen der einzelnen MitarbeiterInnen; die Gelegenheit, individuelle methodische Fähigkeiten, Kompetenzen und Kenntnisse in die alltäglichen Arbeitsprozesse einbringen zu können.
Die Gestaltbarkeit des individuellen Arbeitsplatzes:
Die individuelle Verfügung über räumliche Ausstattung und persönliches Budget; Zeitsouveränität: ein eigenbestimmter Umgang mit Zeit in der Bewältigung berufsalltäglicher Aufgaben; die Anerkennung des individuellen methodischen Handelns des einzelnen Mitarbeiters und seines Arbeitsstils im Team.
Die Einführung von Verfahren der (Selbst-)Evaluation:
Eine fortlaufende (Selbst-)Evaluation der Struktur-, Prozeß- und Produktqualität; der Einsatz von turnusmäßigen NutzerInnen- und MitarbeiterInnen-Befragungen als Instrument einer zielgerichteten Arbeitsoptimierung; die gemeinsame Festlegung von Messkriterien („benchmarks“), an denen der Erfolg des beruflichen Handelns bemessen wird, und die Dokumentation dieser Erfolge in der institutioneneigenen Berichterstattung.
Eine gemeinsame Ergebnisverantwortung:
Die Bereitschaft aller MitarbeiterInnen, bei Nicht-Erreichen der definierten Qualitätsziele Verantwortung zu tragen - und dies im Sinne eines Neu-Lernens, einer kollegialen Neuverständigung, einer Neusortierung organisatorischer, methodischer und verfahrensbezogener Strukturen.
Die Chance auf Weiterlernen („learning organization“):
Externe (Einzel-)Supervision; Angebote der Fort- und Weiterbildung; das Angebot einer turnusmäßigen externen Konzeptberatung.
Empowerment-Zirkel verändern dort, wo sie erfolgreich eingeführt sind, Organisationskultur und Teamqualität. Sie sind Gegenrezepte gegen die Beharrungsmacht althergebrachter Berufsroutinen, sie sind Gegengifte gegen den Verlust von Ego-Involvement und Veränderungsmotivation und geben den Kurswechseln der Institution in Richtung Empowerment eine verbindliche Richtschnur.
8. Empowerment und neue Professionalität in der psychosozialen Arbeit
Eine psychosoziale Praxis, die auf diesem Kapital von Vertrauen in die Stärken ihrer Adressaten aufbaut, nimmt Abschied von der Expertenmacht. Grundlage allen pädagogischen Handelns ist hier die Anerkennung der Gleichberechtigung von beruflichem Helfer und Klient, die Konstruktion einer symmetrischen Arbeitsbeziehung also, die auf die Attribute einer bevormundenden Fürsorglichkeit verzichtet, die Verantwortung für den Arbeitskontrakt gleich verteilt und sich auf einen Beziehungsmodus des partnerschaftlichen Aushandelns einlässt. Die Verwirklichung einer solchen ‚Arbeits-Partnerschaft‘ im pädagogischen Alltag ist an spezifische Voraussetzungen gebunden. Hierzu zählen u.a.: Die Einführung einer systematischen Ressourcendiagnostik: die sensible Diagnose lebensgeschichtlich verankerter Stärken und Ressourcen auf Seiten der Klienten; die vertragliche Regelung von Hilfebeziehungen: die Formulierung von ausgearbeiteten Hilfe- und Behandlungsverträgen, in denen die auf den Hilfeprozess bezogenen Ziele, Verfahren, Zeitperspektiven und Verantwortlichkeiten wechselseitig verpflichtend niedergeschrieben sind; das unveräußerliche Wahlrecht der Klienten: die Achtung der Eigenentscheidungen und der Selbstverantwortlichkeiten der Adressaten im Hinblick auf die Nutzung des sozialen Dienstleistungsangebotes wie auch im Hinblick auf die von ihnen markierten Grenzen der pädagogischen Zuständigkeit.
Mit dieser Neu-Vermessung des Arbeitskontraktes zwischen Sozialarbeiter und Klient aber verändert sich die berufliche Identität der Sozialen Arbeit. Soziale Arbeit im Zeichen von Empowerment ist dann nicht mehr allein Produktion von Dienstleistungen oder parteiliches Eintreten für Klienteninteressen. Sie wird vielmehr zu einer einfühlenden und unterstützenden Lebensweg-Begleitung, die Menschen in Zeiten der Lebensveränderung ermutigt und unterstützt und ihnen strukturelles Rückgrat für individuelle und kollektive Prozesse der Selbstbefreiung ist.
Eine umfassende Übersicht über die aktuelle englisch- und deutschsprachige Literatur zum Thema Empowerment finden Sie in: Norbert Herriger: Empowerment in der Sozialen Arbeit. Eine Einführung. 2020, S. 262ff.